New Work: Mode-Erscheinung oder ein völlig neuer Denkansatz?

Eine Begrifflichkeit, die in diesen Tagen häufig fällt, ist „New Work“.
Klingt wie eine neue Mode-Erscheinung, wurde aber bereits in den 1970ern von Frithjof Bergmann geprägt. Zu einem Zeitpunkt, als die Digitalisierung in der Automobil-Industrie Einzug hielt und dadurch bei den Fließbandarbeitern Arbeitsabläufe automatisiert und Kapazitäten freigesetzt wurden. Um Entlassungen zu verhindern, überlegte man sich Möglichkeiten, die betroffenen Mitarbeiter*Innen für andere Aufgaben zu befähigen. Deshalb sollten sich diese Mitarbeiter*Innen damit auseinandersetzen, welche Interessen und Talente sie über ihren aktuellen Job hinaus haben. Ein solcher Findungs- und Entfaltungsprozess war durchaus länger andauernd und von „Trial and Error“ geprägt.
Mitarbeiter*Innen, deren Talente damit identifiziert und gefördert wurden, konnten in neue Aufgaben innerhalb des wachsenden Unternehmens gebracht und Entlassungen vermieden werden. Die Philosophie dahinter war, dass Mitarbeiter*Innen sehr viel produktiver und leistungsfähiger sind, wenn sie das machen, was sie wirklich wollen und können.
Dabei lag der Fokus auf der Entfaltung des Individuums und weniger auf den gewinnorientierten Zielen.
Nebenbei hat die freie Entfaltung des Individuums zur Folge gehabt, dass auch die Umsätze verbessert wurden.
Weshalb spricht man denn heute wieder darüber?
Durch den Generationswechsel am Arbeitsmarkt hört man immer wieder von der „Generation X/Y/Z“, die mit einem anderen Selbstverständnis an die Arbeitswelt herangeht und häufig vorweg die Frage an potenzielle Arbeitgeber stellt: „Was kann dieses Unternehmen für mich tun?“ Es mag daran liegen, dass die Eltern der heutigen jungen Arbeitnehmer*Innen aus der 1970er Generation stammen und ihre Kinder zu selbstbestimmten Menschen erzogen haben. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass heute sehr viel mehr junge Menschen studieren und an den Unis schon die Botschaft vermittelt bekommen, dass ihre Generation den Arbeitsmarkt revolutionieren wird. Ein weiterer Grund, ausgelöst durch den Fachkräftemangel, könnte auch sein, dass sich künftige Arbeitnehmer*Innen für Arbeitgeber entscheiden, die am ehesten ihren Bedürfnissen entgegenkommen.
Viele Arbeitgeber interpretieren diese Entwicklung als Wunsch nach selbstbestimmtem Arbeiten und fördern Eigenverantwortung anstelle von Fremdbestimmung in klassischen Hierarchien. Beworben wird das Ganze mit Begrifflichkeiten wie „Agiles Arbeiten“ oder „Scrum“, was übersetzt wird mit Freiheit beim Generieren und Einbringen eigener Ideen, durch ortsunabhängiges Arbeiten, flexible Arbeitszeiten oder durch bereichsübergreifende Projektgruppen. Auch die Ermöglichung verschiedener Karrierewege und Mitbestimmung bei den Anreizsystemen, als Zusatz zum Gehalt, werden dazu gezählt. Letztlich sind das aber nur Mosaiksteinchen in dem ursprünglich entwickelten Denkansatz von „New Work“. Denn wenn wir mal ganz ehrlich sind, ist es nicht jedem Unternehmen möglich und auch gar nicht notwendig, diesen Denkansatz komplett auszuleben.
Passt das wirklich zu jedem Unternehmen?
Es ist auch fraglich, ob das selbstbestimmte Arbeiten und die Verringerung von Fremdbestimmung in klassischen Hierarchien das Allheilmittel ist. Vielleicht benötigen gerade jüngere Menschen noch gewisse Leitbahnen, an denen sie sich orientieren und wachsen können. Vielleicht sollte man ihnen den Raum geben, die Hierarchien und Regeln zu hinterfragen und mitzugestalten. Diese jedoch weitestgehend wegzunehmen und alles der freien Entfaltung zu unterwerfen, getreu dem Motto „Mach doch einfach was Du willst“, wird vermutlich nicht auf breiter Ebene funktionieren.
Schauen wir beispielsweise mal in den Pflegesektor, bei dem es ohnehin schon sehr an Fachkräften mangelt, die zudem zwangsläufig Überstunden leisten.
Wie soll sich die einzelne Pflegekraft in der gut gefüllten Arbeitszeit, oder gar in der wenigen Freizeit, noch damit auseinandersetzen, welche ihrer Talente entwicklungswürdig sind? Und welches Interesse sollte der Arbeitgeber haben, die bisher aufgestellten Regeln aufzubrechen?
Seine Kunden haben eine bestimmte Erwartung und Bedürfnisse, die täglich erfüllt werden müssen. Es ist kaum vorstellbar, dass in einem solchen Segment, in dem man sich ohnehin nahezu in der Mindestlohn-Zone befindet und in dem ein großer Wettbewerb herrscht, über „New Work“ ein Gedanke verschwendet wird.
Wobei ich nicht ausschließen möchte, dass es bei dem einen oder anderem Unternehmen im Pflegesektor praktiziert wird. Hier zum Beispiel durch die Vereinfachung von administrativen Aufgaben, die zeitraubend sind.
Wir sollten im Blick behalten, woher der ursprüngliche Denkansatz von Frithjof Bergmann kam. Es ging darum, Entlassungen von Mitarbeiter*Innen zu vermeiden, deren Arbeitsvolumen durch die Digitalisierung reduziert wurde. Weiterhin ging es darum, diesen Menschen sinnvolle und passende Aufgaben zuzuweisen und ihre Arbeitskraft für das Unternehmen zu erhalten. Sicherlich war dies nicht bei allen betroffenen Mitarbeiter*Innen möglich und es gab bestimmt auch einige, die trotz aller Bemühungen entlassen wurden. Wir können diesen Denkansatz also nicht 1:1 auf das Jahr 2020 übertragen und es ist fraglich, ob man die aktuelle Entwicklung wirklich als „New Work“ bezeichnen sollte.
Wir sind inzwischen in der Digitalisierung angekommen bzw. mitten drin und es gehört zu unserer täglichen Arbeit, freigewordene Kapazitäten mit anderen sinnvollen Tätigkeiten aufzufüllen. Dadurch entwickeln sich zwangsläufig manchmal neue Aufgaben, die viel mehr unseren Neigungen entsprechen. Die freie Entfaltung im Sinne vom ursprünglichen „New Work“ findet bei den meisten Arbeitnehmer*Innen in der Freizeit statt und wird selten von Arbeitgebern gefördert. Statt Angebote zum berufsbegleitenden Lernen zu machen, gehen doch viele Arbeitgeber bereits in den Abwehrmodus, wenn Mitarbeitende den gesetzlich zustehenden Bildungsurlaub beanspruchen wollen. Genau dieser entspricht im Prinzip dem Ansatz von „New Work“ insoweit, dass Arbeitnehmer die Gelegenheit bekommen sollen, ihre Talente zu erforschen und auszuleben. Und das am besten ungeachtet der beruflichen Tätigkeit.
Wir sollten uns darauf besinnen, Menschen nicht als Ressource zu betrachten!
Fakt ist: Um das eigene Talent jenseits der zu verrichtenden Aufgabe zu entfalten, braucht es sehr viel Zeit zum Experimentieren, die Möglichkeit Fehler zu machen und von vorne mit der Findung zu starten.
Dem steht entgegen, dass wir in einer ergebnisorientierten Gesellschaft leben, in der es nicht gerne gesehen wird, beruflich im „Trial & Error“-Verfahren zu agieren. Es ist zur Gewohnheit geworden, jede durch Digitalisierung freigewordene Minute effizient zu nutzen. Mit dem Ergebnis, dass die Anzahl der Erkrankungen aufgrund psychischer Belastungsstörungen kontinuierlich steigt. Denn die Digitalisierung führt nicht immer zu einer Entlastung, sondern oftmals zu einer Überfrequentierung auf allen verfügbaren Kanälen. Menschen fühlen sich wie im Hamsterrad und haben das Gefühl, während der Arbeit kaum mehr eigenständig handeln zu können, weil die Digitalisierung sie treibt. Der Gedanke an freie Entfaltung ist für sehr viele Arbeitnehmer*Innen sehr weit weg. Sie wären sicherlich schon zufrieden, wenn das was sie täglich leisten, mit einem ehrlich gemeinten „Danke“ anerkannt würde.
Vielleicht sollte man das neue „New Work“ weniger unter dem Aspekt der freien Entfaltung denken, sondern mehr im Hinblick darauf, Menschen weniger als Ressource zu sehen und zwischenmenschliche Werte wieder aufleben zu lassen. Ich denke, das würde den Arbeitnehmer*Innen das Arbeiten sehr viel mehr erleichtern und dazu beitragen, dass sie wieder gerne zur Arbeit gehen.
Für eine Beratung zu den Themen Mitarbeiterbindung und Arbeitgeber-Image stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung. Kontaktieren Sie mich unter 0151-20102018 oder via E-Mail: kloos@mehrwert-kompetenz.de